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Südtiroler Politiker schreiben an Benito Mussoloni (1923)

Memorandum der Abgeordneten Südtirols an Ministerpräsident Mussolini vom Juni 1923.
In der Zeit des italienischen Faschismus versuchen die Abgeordneten Südtirols im Jahre 1923 mit einem Memorandum an Benito Mussolini auf kommende Probleme aufmerksam zu machen und dem angehenden Konflikt entgegenzuwirken. Das Memorandum ist somit eine interessante Quelle für die italienisch-südtirolerische Beziehung vor dem 2. Weltkrieg.

Die Quelle wurde dieser Dorkumentensammlung entnommen:
„Südtirol und der italienische Nationalismus : Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage“, Quellenmäßig dargest. von Walter Freiberg, Hrsg. von Josef Fontana, Teil 2: Dokumente (Schlern-Schriften 282/2), Universitätsverlag Wagner, Innsbruck, 1990, S. 704-709.

Interessenskonflikt Südtirol
Südtirol, das Land der deutsch-italienischen Sprachgrenze, ist wohl beispielgebend für die ethisch-nationalen Konflikte des 20. Jahrhunderts. Nach den Wirren des ersten Weltkrieges und dem Friedensvertrag von St. Germain wurde das nahezu vollständig deutschsprachige Land, das „seit mehr als fünf Jarhunderten zu Österreich gehört hatte,  […] Italien als Kriegsbeute zugeschlagen“ [1]. Bedingt durch ein kriegsgeschwächtes Österreich, das Südtirol nicht beistehen konnte, „Vergewaltigung einer Minderheit durch die Faschisten und die Auswirkungen des aufkommenden Nationalismus“ [1], sollte Südtirol zum Experiment einer „ethnischen Säuberung“ werden. Mit einem Memorandum versuchen die Abgeordneten Südtirols im Jahre 1923 auf kommende Probleme aufmerksam zu machen und dem angehenden Konflikt entgegenzuwirken. Dieses Memorandum wird im Folgenden dargestellt.

Erreichbarkeit der Originalveröffentlichung
Das „Memorandum der Abgeordneten Südtirols an Ministerpräsident Mussolini“ vom Juni 1923 wurde am 30.06.1923 in der Tageszeitung „Der Tiroler“ Nr. 147 auf Seite 1f veröffentlicht. In der Landesbibliothek „Dr. Friedrich Teßmann“ in Bozen, die das Staatsarchiv Bozen und das Landesarchiv Südtirol beinhaltet, kann das Original aus dem Jahre 1923 eingesehen werden. Dort sind die Zeitungen „Der Tiroler“ jeweils zu einer Jahresausgabe zusammengefasst und gebunden. Leider ist das Papier im Laufe der Zeit vergilbt und die Schrift verblasst. Deshalb kann es mit einem normalen Fotokopiergerät nicht in ausreichender Qualität kopiert werden, zudem ist das Kopieren dieser Zeitungen ohnehin verboten, um sie vor Beschädigungen zu schützen.

Darstellung der ausgewählten Quelle
Das „Memorandum der Abgeordneten Südtirols an Ministerpräsident Mussolini [2]“ wurde dem Abschnitt „Denkschriften, Eingaben, Berichte“ entnommen. Als Quellennachweis  wird hierbei noch „Gamper-Archiv, Südtirol-Faschismus 1923“ angegeben. Nach längerer Recherche konnte ich herausfinden, dass sich das „Gamper-Archiv“ bei der Verlagsanstalt Athesia, Bozen befindet. Es ist also kein staatliches bzw. öffentlich zugängliches Archiv. Wie bereits erwähnt, kann aber die Originalveröffentlichung in „Der Tiroler“ in der „Dr. Friedrich Teßmann“ Bibliothek in Bozen eingesehen werden.

Die Denkschrift beginnt mit der Rechtfertigung Südtirols, die Stimme gegen Unterdrückung und Einschränkung der nationalen Rechte zu erheben. Südtirol befinde sich nun, vier Jahre nach der Abspaltung vom österreichischen Tirol 1919, in einem für Südtirol beklagenswerten Zustand. Es wird in Form von wörtlichen Zitaten und Textauszügen daran erinnert, dass hohe italienische Regierungsmitglieder nach der Friedenskonferenz des ersten Weltkrieges von St. Germain verkündeten, wie sehr sich der italienisch Staat bewusst sei, dass nun eine deutsche Minderheit ins Staatsgebiet eingeschlossen sei und dass es eine große moralische Pflicht sei, diese zu achten und zu respektieren. Gedanken der Unterdrückung und Entnationalisierung lägen vollkommen fern, einen Polizeistaat, wie es ihn angeblich unter österreichischer Herrschaft im Trentino gegeben habe, werde es nie geben. Auch sei Südtirol nur zum Zweck, die italienische Grenze im Norden zu verteidigen, annektiert worden, es sei also eine Ehrenpflicht für die italienische Regierung den Deutschen [3] ihre autonome Einrichtung zu bewilligen, damit diese sich frei und unbehelligt fühlen könnten. Die Abgeordneten halten der Regierung allerdings entgegen, dass diese bisher zwar jederzeit bestrebt gewesen sei, begangene Fehler einzugestehen und wieder gut zu machen, aber nun aus Kreisen der Regierungspartei zu hören sei, dass es in Südtirol ein derartiges Recht gar nicht mehr geben könnte. Tatsache sei, dass Italien, für das nationale Ideale immer als das Höchste und Heiligste galten, diese einer anderssprachigen Minderheit nicht zubillige, seine Pflicht gegenüber dieser deutschen Minderheit nicht erfülle und autonome Verwaltungsgrundlagen beseitige. Die massivsten Einschnitte werden in Folge dessen in sieben Punkten mit symptomatischer Bedeutung dargelegt:
Gesetze werden nur noch in den seltensten Fällen ins Deutsche übersetzt. Sogar die Gemeinde- und Provinzialordnung und behördliche Verlautbarungen erfolgen nur noch in italienischer Sprache. Für die deutschsprachige Bevölkerung, die oftmals kein Wort Italienisch sprechen kann, ist es auf diese Weise unmöglich, von einschneidenden Neuerungen in Kenntnis gesetzt zu werden. Besondere Schwierigkeiten bestehen bei den Steuerbekenntnissen, da die Steuerämter die Annahme solcher verweigern, die nicht in italienischer Sprache verfasst sind. Schließlich ist auch der mündliche Verkehr mit Beamten nicht mehr möglich, da diese nur in den seltensten Fällen Deutsch sprechen können.
Die Abgeordneten Südtirols bemerken, dass die Änderung der Ortsnamen als wahre Beleidigung aufgefasst werden muss. Deutsche Ortsbezeichnungen mit uraltem Ursprung stellen die kulturelle Entwicklung des Südtiroler Volkes dar und werden nun auf willkürliche Weise ins Italienische übersetzt. Diese neuen, zum Teil fast lächerlich klingenden Ortsnamen sind nicht nur ein künstlicher Eingriff in die Geschichte und gaukeln italienische Tradition vor, sonder schädigen in verantwortungsloser Weise südtirolerische Wirtschaftsinteressen.
Was das Vereins- und Versammlungsrecht betrifft, so muss die Südtiroler Bevölkerung auch hier massive Beeinträchtigungen hinnehmen. Versammlungen und Besprechungen, z.B. von Dichtern und Gelehrten, die durchaus auch unpolitischen Charakters sind, werden schlichtweg untersagt, wenn sie nicht bei der Sicherheitsbehörde angemeldet sind. Auch Vereine, z.B. katholische Jugendorganisationen oder ein Verein zur Pflege der deutschen Sprache werden verboten.
Da die Bevölkerungsverteilung nicht den italienisch-nationalen Vorstellungen entsprach, wurde die Volkszählung in der Weise manipuliert, dass alle Personen mit italienisch klingendem Namen als Italiener eingetragen wurden, ungeachtet ihrer tatsächlichen Umgangssprache. Die äußerst zahlreichen deutschen Namen im Trentino wurden allerdings nicht registriert.
Daraufhin wird auf die Problematik im Schul- und Erziehungswesen hingewiesen. Es sei in Europa als fundamentales Prinzip anerkannt, dass jedes Kind in seiner Muttersprache unterrichtet und erzogen werden dürfe. So gäbe es z.B. in Dänemark oder der Tschechoslowakei genaue Richtlinien, ab welcher Anzahl deutschsprachiger Einwohner in einer Ortschaft eine deutsche Schule eröffnet werden müsse. In Südtirol allerdings, werden in einwandfrei deutschen Regionen, in denen man nicht einen einzigen Italiener findet, deutsche Schulen systematisch geschlossen und durch italienischsprachige ersetzt. Zu allem Überdruss ist es sogar verboten, Kinder auf eigene Kosten durch private Lehrer unterrichten zu lassen. Es sei unmöglich, dass unter solchen Voraussetzungen die deutsche Nachkommenschaft eine förderliche Erziehung erhalten könne.
Am stärksten ist das so genannte Unterland [4] betroffen. Hier ist die Bevölkerung auch nach aller Revision der Volkszählung eine überwiegend deutsche. Trotzdem wurde die Region von der Unterpräfekur Bozen losgerissen und der rein italienischen Unterpräfekur Cavalese unterstellt. Die Folge ist, dass alle Gemeindeprotokolle nun nur noch auf Italienisch verfasst werden dürfen. Es wurde sogar verordnet, dass rein deutschsprachige Gemeinden nicht mehr auf Deutsch untereinander korrespondieren dürfen. Hier wird der Zweck der Entnationalisierung besonders deutlich, da solche Anordnungen auf jeden Fall Verwaltungsinteressen hemmen.
Die Zurückdrängung südtirolerischer Überlieferungen verdeutlicht mit am stärksten die auf völlige nationale Entrechtung ausgelegte Regierungspolitik. So wurden alle Bilder Andreas Hofers [5] aus den Schulen entfernt und selbst der Name Tirol bzw. Südtirol wurde in allen Schulen und amtlichen Gebräuchen annulliert.
Die Abgeordneten Südtirols bezeichnen all dies als direkt feindliche Regierungspolitik gegenüber Südtirol. Sie weisen darauf hin, dass Ministerpräsident Mussolini bzw. die italienische Regierung sehr wohl selbst einschätzen könne, dass die Vorgänge in Südtirol nichts mehr mit Toleranz gegenüber der deutschen Minderheit zu tun hätten, sondern viel mehr auf eine systematische Italienisierung abzielten. Zugleich bezweifeln sie allerdings dass diese Klagen überhaupt Verständnis oder gar Gehör finden. Sie sehen es aber als ihre Pflicht an, nicht untätig zu sein, die Stimme zum Einspruch zu erheben. Fast heroisch endet das Memorandum mit der Aussicht, dass das Deutschtum und seine Jahrtausend alte Kulturkraft in Südtirol niemals durch eine staatliche Gewalt zerschlagen werden könne. Die Bevölkerung ist bereit alle gewaltsame Verdrängung abzuwehren. Italien allerdings werde sich einmal glücklich schätzen, einen deutschen Volksstamm im Norden zu wissen, der frei von jeglicher Verfolgung und Unterdrückung sich seiner Rechte als autonome Provinz bewusst ist.

Weiterführende Literatur
Als weiterführende Literatur ist wohl „Geschichte des Landes Tirol“, Bozen 1988 zu nennen. Unter der Schriftleitung ebenfalls von Josef Fontana wurde von mehreren Autoren [6]  eine vierbändige Edition herausgebracht, die sich der Darstellung der Geschichte des Landes Tirol von den Anfängen bis zu Gegenwart widmet. Hierbei wird sehr genau auf Detailfragen des Interessenskonflikts um Südtirol eingegangen. Band 4, der die Zeit ab 1918 behandelt, ist schließlich in zwei Teilbände aufgeteilt, wobei der erste die Thematik zu Südtirol, der zweite zum Bundesland Tirol ausführt.
Ebenfalls sehr ausführlich ist das auf Südtirol beschränkte Werk „Südtirol im 20. Jahrhundert“ von Rolf Steininger, Innsbruck, 1997. Die Ausführung beginnt mit dem Kriegsende 1918 und führt bis in die Zeit der späten 90iger Jahre. Hierbei wird auf die neueste Geschichte besonderen Wert gelegt. Ein großer Anhang mit u.a. einem Abkürzungsverzeichnis, Bildnachweis, Archivalien, Literaturhinweisen, einer Zeittafel und einem Personenregister rundet das Werk ab.
Etwas illustrierter aber durch die Vielzahl von Abzügen von Originalschriftstücken, Bekanntmachungen, Verträgen und Plakaten durchaus interessante Ausgabe ist „Geschichte Südtirols“ von Reinhold Staffler und Christoph von Hartungen, Lana, 1985. Viele zeitgenössische Gedichte und Zeitungsartikel ermöglichen zusätzlich einen authentisch lebendigen Einblick in die Geschichte Südtirols des 19. und 20. Jahrhunderts.

Quellennachweis
[1] Rolf Steininger, „Südtirol im 20. Jahrhundert“, Innsbruck, 1997, S.9
[2] Benito Mussolini (1883-1945): Begründer und „Duce“ (Führer) des italienischen Faschismus. Er gründete 1919 die nationalistische, antiliberale und antisozialistische Bewegung „Fasci di Combattimento“, die 1921in den „Partido Nazionale Fascista“ umbenannt wurde. Von 1922 bis 1943 war Mussolini Ministerpräsident Italiens. Nach militärischen Niederlagen und inneren Krisen im 2. Weltkrieg wurde er am 25. Juli 1943 abgesetzt und verhaftet. Zwischenzeitlich von deutschen Fallschirmjägern befreit, wurde er aber am 28.4.1945 von italienischen Partisanen gefangen genommen und ohne Gerichtsverfahren erschossen.
Vgl.: Microsoft Encarta Enzyklopädie 2003, Stichwort „Mussolini, Benito“
[3] mit „Deutsche“ sind die deutschsprachigen Bewohner Südtirols gemeint.
[4] Region um Kaltern, Neumarkt, Tramin im Süden Südtirols
[5] Andreas Hofer (1767-1810), Tiroler Nationalheld
[6] für genauere Angaben siehe Literaturerzeichnis

Literaturverzeichnis

  • Walter Freiberg: „Südtirol und der italienische Nationalismus : Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage“, Quellenmäßig dargest. von Walter Freiberg, hrsg. von Josef Fontana, Teil 1: Darstellung (Schlern-Schriften 282/1), 2., verbesserte Auflage, Universitätsverlag Wagner, Innsbruck, 1994
  • Walter Freiberg: „Südtirol und der italienische Nationalismus : Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage“, Quellenmäßig dargest. von Walter Freiberg, Hrsg. von Josef Fontana, Teil 2: Dokumente (Schlern-Schriften 282/2), Universitätsverlag Wagner, Innsbruck, 1990
  • Rolf Steininger: „Südtirol im 20. Jahrhundert, Vom Leben und Überleben einer Minderheit“, Innsbruck, Studien-Verl., 1997
  • Reinhold Staffler und Christoph von Hartungen: „Geschichte Südtirols“, Hrsg.: Jugendkollektiv Lana e.V., 1985
  • Josef Fontana, Peter W. Haider, Walter Leitner, Georg Mühlberger, Rudolf Palme, Othmar Parteli, Josef Riedmann: „Geschichte des Landes Tirol“ in vier Bänden, Bozen, 1988